Description:
In der öffentlichen Diskussion wird die Meinung vertreten, eine gesamtwirtschaftliche Lohnzurückhaltung lohne sich nicht, da sie zu einer nominalen Aufwertung der D-Mark führe. Dies wirke der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen entgegen, so daß per saldo die Früchte der Lohnzurückhaltung über den Wechselkursmechanismus, also über die Aufwertung, zunichte gemacht würden. Es ist verfehlt, die Lohnpolitik auf diese Einschätzung zu basieren. Lohnzurückhaltung wirkt sich, auch bei einer daraus resultierenden Aufwertung, positiv auf die Beschäftigung aus. Sie bedeutet, daß zunächst einmal die Nachfrage nach Arbeitskräften zunimmt, da Arbeit relativ preiswerter wird als Kapital. Arbeitsintensiv produzierende Sektoren werden begünstigt. Selbst wenn es im Gefolge der vermehrten Exporte zu einer Aufwertung der D-Mark kommt und damit die Nachfrage nach Exportprodukten zurückgeht, hat sich die sektorale Struktur zugunsten arbeitsintensiv produzierender Sektoren verschoben. Per saldo entstehen zusätzliche Arbeitsplätze. Lohnzurückhaltung führt in einem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht zu niedrigeren Zinsen. Die Bundesbank kann dieser Markttendenz folgen, und zwar ohne von ihrem Geldmengenziel abzulassen. Dies würde nicht die Preisniveaustabilität gefährden. Von daher gibt eine mittelfristig angelegte Lohnzurückhaltung und eine daraus resultierende Aufwertung der Bundesbank einen gewissen Spielraum für Zinssenkungen. Anders liegen die Dinge bei kurzfristigen Wechselkursänderungen. Bei der Geldpolitik geht es um Stetigkeit. Die Bundesbank sollte nicht auf kurzfristige Devisenmarktentwicklungen reagieren. Die Wirtschaft muß mit dem Wechselkurs als Preis von Währungen leben. Die Volatilität der Wechselkurse im Sinne von kurzfristigen Ausschlägen des Wechselkurses nach oben und nach unten hat seit 1980 nicht zugenommen. In der langen Frist folgen Wechselkurse nach wie vor der Kaufkraftparität, so daß Wechselkursveränderungen die unterschiedliche Entwicklung der Preisniveaus in den Ländern reflektieren. In der mittleren Frist reagieren Wechselkurse auf Unterschiede im Produktivitätsfortschritt. So gesehen ist das Argument, daß Lohnzurückhaltung zur Aufwertung der Währung führt, zu relativieren. Ein Teil des — statistisch an der Zunahme der Arbeitsproduktivität beobachteten — Produktivitätsfortschritts Westdeutschlands in den letzten zwanzig Jahren ist darauf zurückzuführen, daß die Unternehmen verstärkt Arbeitskräfte mit geringer Produktivität freigesetzt haben, auch unter dem Druck von kräftigen Lohnerhöhungen. Dies hatte eine höhere Rentabilität des Kapitals und einen höheren Produktivitätsfortschritt zur Folge. Damit kann ein paradoxes Resultat nicht ausgeschlossen werden: Der Abbau von Arbeitsplätzen in Deutschland führt zu einer Aufwertung der D-Mark. Die Argumentation, daß Lohnzurückhaltung durch eine Aufwertung ausgeglichen wird, läßt sich vollends ad absurdum führen, wenn man das Argument auf den Kopf stellt. Angenommen, in einer Volkswirtschaft würden die Löhne beliebig in die Höhe getrieben; dann käme es zu einer Abwertung der eigenen Währung, und — so das Argument — die Abwertung würde diesen Lohnanstieg in seiner Wirkung wieder voll ausgleichen. Man könnte also beliebig die Löhne erhöhen, die Abwertung würde es schon richten. Dies kann wohl nicht wahr sein.